23. Juni - 4. August 2012

   

 

FELIX BURGER | Einzelhaft

Ausstellungsdauer | duration: 23. Juni - 4. August 2012
Eröffnung | opening: 23. Juni, 2012, 18:00-22:00 Uhr

Felix Burger, Galerie Jette Rudolph Berlin, 2012

Die Galerie Jette Rudolph freut sich, erstmals den Künstler Felix Burger mit seiner Soloshow „Einzelhaft“ in Berlin präsentieren zu dürfen.

In den semifiktionalen Arbeiten Burgers vereinen sich Anspielungen auf biographische Eckdaten des Künstlers mit Verweisen auf historische Ereignisse zu narrativen, fingiert dokumentarischen Schilderungen. Die erzählerischen Mittel referenzieren mittels Kostümierung und Requisiten auf filmhistorische Vorbilder des frühen Hollywood-Kinos. Angesichts der in Burgers Filmen auffälligen Stilmittel körperbetonter Gestik und Mimik, wie auch bzgl. der übersteigert dramatischen Inszenierungsweise und dramaturgischen Dichte, werden im Betrachter die Erinnerung an das Genre des Stummfilms geweckt.

Die Ausstellung „Einzelhaft“ zeigt eine Auswahl (fiktiver) Bauprojekte und Selbstinszenierungen Burgers, der sich angesichts seiner Rolle als Autor, Regisseur und Protagonist wiederholt selbst mit der Künstlichkeit und dem Scheitern seiner Erzählungen konfrontiert.
Mit dem Medium Film bedient sich Felix Burger der erzählerischen Gattung par excellence, wobei der Künstler seine Narrationen durch dokumentarische Präsentationsformen und Medien, wie etwa dem Ausstellen von Relikten in Schaukästen und Fotografien, erweiternd vermittelt. Den Arbeiten unterschiedlicher künstlerischer Gattungen liegen stets eine bewusste Inszenierung und ein Zusammenfügen verschiedener Verweissysteme zu Grunde. So entwirft Burger ein Geflecht aus Zitaten vergangener Stile, vertraut erscheinender Ästhetiken und resümierter Motive, um die Welt nach seinen Vorstellungen zu erschaffen, beglaubigt und demonstriert durch Bilder und Dokumente, Lieder und Requisiten. Allzu offensichtlich verbindet Burger jede seiner Arbeiten mit seiner Person und Details seines persönlichen Umfeldes und wirft auf diese Weise die Frage nach dem Verhältnis zur Realität auf: An der Grenze zwischen Wirklichkeit und ästhetischem Gebilde signalisieren die (selbst-)kritischen Erzählungen dem Betrachter, dass die Reden des Künstlers durch Masken und Stimmen möglicherweise verzerrt, künstlich oder gar fiktional sind. Dabei wirken Referenzen zur Ausdrucksfülle früher amerikanischer Filme und die Imitationen deren Stile in den Arbeiten Burgers ebenso nach wie Anleihen an die spezifische Propaganda-Ästhetik des Dritten Reiches und den bühnendramatischen Wagner-Pathos. Die Selbstsetzung des Künstlers innerhalb seiner Arbeiten als Wirklichkeitsverweis im theatralischen Bündnis mit den künstlerischen Schilderungen erscheint dabei im Ergebnis oft absichtsvoll dilettantisch und vielmehr als ein verzweifelter Versuch großen Kinos, welcher auf die perfekte Illusion verzichtet zugunsten des bewussten Rollenspiels, der Maskerade und spielerisch psychischer Projektionen.

Die Ausstellung "Einzelhaft" zeigt verschiedene Werkblöcke Felix Burgers, in denen dieser wiederholt an der selbstreferentiellen Schleife seiner fiktionalen Narrationen scheitert. So nimmt er den Betrachter mit auf seine mentalen Reisen zwischen Verführung und Entfremdung, Realität und Fiktion, entwirft historische Ereignisse und Biographien,  die zuletzt doch im flüchtigen Spiel der Schatten und Maskeraden ungreifbar bleiben wie Phantome.

Im zentralen Kabinett der Ausstellung inszeniert Burger die Dokumentation des Projektes „Schliersee“, dem Bauvorhaben eines unterirdischen Vergnügungs-parks in seiner eigenen Heimat, dem Voralpenland, als massentaugliche Kulisse der leichten Unterhaltung. In der begehbaren Rauminstallation – abgedunkelt, von einer vereinzelten Glühbirne illuminiert und separiert vom restlichen Ausstellungsraum – entwickelt Burger eine fiktionale Berichterstattung über das Projekt anhand (gefakter) Daguerreotypien, Baupläne, Briefe und anderer dokumentierender Relikte, changierend zwischen fiktiver Erzählung, der Erinnerung an tatsächliche historische städtebauliche Maßnahmen und pathetischer Inszenierung.
Ebenso absolut und emphatisch präsentiert sich die romantisierende Ästhetik der Video-Arbeit „The Mill on Black Water“, einem knapp vierminütigen Dokumentarfilm, welcher den Abriss der Münchner Innenstadt in der Manier einst in der Tat real geplanter Stadtveränderungen Baron Haussmanns oder nach den Plänen Albert Speers beschreibt, jedoch nicht der Herstellung urbaner Isolation und Zerstörung unter propagandistischen Vorzeichen dient. Vielmehr gestaltet der Künstler nach seinen persönlichen Wünschen sein Elternhaus zu einer abgeschiedenen mittelalterlichen Mühle um.
Mit einem dunklem Kapuzenmantel bekleidet, erscheint der Künstler als Protagonist in der filmischen Arbeit „Train B“. Als Fahrgast in einem U-Bahn-Wagon erkennt man das Gesicht des Künstlers in der Spiegelung des Zugfensters, während ihn die Bahn über via drei Stationen medial an kollektiven Katastrophen vorüberführt: Die subjektive Fahrt durch die Hölle passiert singende Werbeplakate der Hitlerjugend in der Wolfsschanze (1. Station), durchstreift schwer verstrahltes Gebiet in Tschernobyl (2. Station) und schleicht schließlich durch die Ruinen von Ground Zero (3. Station), um letztlich dem Betrachter selbst die graduelle Bereitschaft emotionaler und politischer Teilhabe und Wertung an den Ereignissen zu überlassen.

Das offenkundige Band zwischen Erzählung und Realität zeigt sich erneut in der großformatigen Fotografie „Warum ich lieber Märchenkönig als Künstler geworden wäre“, auf welcher das Portrait Burgers als Ludwig II zu sehen ist. In loser Maskerade mit Perücke, aufgeklebtem Bart und schwarz bemalten Zähnen erscheint ein zwitterhaftes Porträt aus Märchenkönig und Künstler, bemüht einen Ausdruck von Verzweiflung und Tragik in sein Gesicht zu zeichnen.

Pastichehaft zeichnet Burger oftmals düstere Versionen des Lebens und knüpft dabei an Genres an, welche wohl bekannt erscheinen. Der Literaturkritiker Fredric Jameson bezeichnet dieses Imitations- und Referenzsystem als Leitprinzip der Erzählens: Ohne akuter Bestandteil des alltäglichen Lebens zu sein, bleibt der Verweis auf etwas allzu Vertrautes und bringt ein bestimmtes Gefühl von Nostalgie mit sich. Unlöslich verstrickt in die filmischen Narrationen, Erinnerungen und Verweise stößt man stets auf die Person Felix Burger, der seine satirischen Fingerabdrücke hinterlässt und dem, eingeschlossen in jenes System aus Referenzen und Zitaten – wie in Einzelhaft – schließlich nicht zu trauen ist: In den medialen Gefängniszellen der filmischen Arbeiten muss der Betrachter auf der Suche nach authentischem Ausdruck und wahrer Emotionalität ebenso scheitern, wie der Künstler selbst auf seiner Flucht in fiktionalen Welten. Im ungewissen Limbus zwischen Medienwelt und Realität, wo Konkurrenz und Korrelation divergierender Bilder sich abwechseln, ist die menschliche Existenz in einem ewigen Werden gefangen.
Essay: Postmodernism and Consumer Society, in: Foster, Hal: The Anti-Aesthetic: Essays on postmodern culture, Port Townsend, 1983

Felix Burger, Einzelhaft, Galerie Jette Rudolph, Berlin, 2012

The Mill on black water Video, 3`52 min, 2008
The Mill on black water, 2008
Video, 3:52 min

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english version

The Jette Rudolph Gallery is pleased to present Felix Burger’s first exhibition in Berlin, a solo show entitled “Einzelhaft” (“Solitary Confinement”).

In Burger’s semi-fictional works, allusions to biographical facts about the artist and references to historical events combine to create fictitious, narrative, documentary accounts. Using costumes and props, the narrative techniques make reference to historical film models from early Hollywood cinema. In his films, Burger uses eye-catching stylistic devices: an emphasis on physical gestures and facial movements; exaggerated, dramatic staging techniques as well as dense dramaturgy. This makes viewers recall the silent film genre.

The exhibition “Einzelhaft” shows a selection of (fictive) construction projects and self-portrayals of Burger, who, given his role as author, director and protagonist, repeatedly confronts himself with the artificiality and failure of his narratives.
With the film medium, Felix Burger makes use of the narrative genre par excellence. He then supplements his narrations with documentary presentations and media, including relics that are on exhibit in display cases as well as photographs. In the various artistic mediums, Burger’s work is always based on an intentionally staged approach that merges different reference systems. So Burger weaves a network of citations of past styles, familiar aesthetics and motifs that sum things up, to create the world according to his ideas – all proven and demonstrated by photos and documents, songs and relics. It is very clear that Burger connects each of his works to his person and to his personal surroundings, thereby raising the question of a person’s relationship to reality: On the border between reality and aesthetic forms, the (self-) critical narratives signal to the viewer that – through the masks and voices that are employed – the artist’s utterances might be distorted, artificial or even fictional. References to the expressive quality of early American cinema and Burger’s imitations of these styles in his works thereby look as if they were borrowed from the propaganda aesthetics specific to the Third Reich and from Wagner’s dramatic stage pathos. In his works, in the union between theater and art, the artist posits himself as a reference to reality, which ultimately often comes across as intentionally amateurish and, in fact, like a despairing attempt to create something very impressive, but which renounces the perfect illusion in favor of intentional role play, masquerade and playful mental projections.

The exhibition “Einzelhaft” shows various works by Felix Burger in which the self-referential loop that runs through his fictional narrations repeatedly fails. He takes the viewer with him on his mental trips between seduction and alienation, reality and fiction, creates historical events and biographies, which then lastly in the fleeting game of shadows and masquerades remain as ungraspable as phantoms.

In the exhibition’s main cabinet, Burger stages the documentation of the “Schliersee” (“Lake Schlier”) project, a construction project for an underground amusement park that is to be built in his homeland, the foothills of the Alps, and presents it as a setting suitable for the masses, where they can enjoy light entertainment. In the installation – a dark room that can be entered, lit by a single light-bulb and separate from the rest of the exhibition space – Burger devises a fictional report on the project using (faked) daguerreotypes, building plans, letters and other documentary relics, alternating between fictive narration, reminders of actual historical urban planning measures and emotional scenes.

The romanticizing aesthetics of the video work, “The Mill on Black Water,” also make an absolute and emphatic impression. A documentary film that is just four minutes long, it describes the demolition of Munich’s inner city based on urban changes that were once really planned by Baron Haussmann or based on plans by Albert Speers, but does not lead to the creation of urban isolation and destruction in the name of propaganda. Instead, according to his own wishes, the artist redesigns the home he grew up in, transforming it into a secluded medieval mill.

Wearing a dark hooded-garment, the artist appears as a protagonist in the film work “Train B.” As a passenger in a subway car, one recognizes the artist’s face in the reflection in the train’s window, while the train takes him through three stations and past three collective catastrophes: A subjective trip through hell passes singing poster ads for the Hitler youth at the “Wolfsschanze” Station (“Wolf’s Lair,” the 1st station); the train goes through highly contaminated areas of Chernobyl (2nd station); and lastly the subway car crawls through the ruins of Ground Zero (3rd station), to ultimately leave it to viewers to let their growing willingness to get emotionally and politically involved take over and to let them assess the events.

The obvious connection between narrative and reality can again be seen in the large-format photograph, “Warum ich lieber Märchenkönig als Künstler geworden wäre” (“Why I would have preferred to have become a fairy-tale king instead of an artist”), which shows a portrait of Burger as Ludwig II. Slightly disguised in a wig, with a glue-on beard and teeth painted black, a portrait emerges that is a cross between fairy-tale king and artist, that tries to give his face an expression of despair and tragedy.
In a pastiche-like way, Burger often depicts darker versions of life, thereby making recourse to genres we are familiar with. The literary critic Fredric Jameson refers to this imitation and reference system as the narrative’s guiding principle: Without being an acute part of everyday life, the reference to something all too familiar remains and brings a certain sense of nostalgia with it. Inextricably intertwined with cinematic narrations, memories and references, one continually bumps into one person, Felix Burger, who leaves behind his satiric fingerprints and who, locked up in this system of references and citations – as is he were in solitary confinement – ultimately cannot be trusted: In the medial cells of cinematic works, the viewer in search of authentic expression and true emotions must fail as much as the artist himself in his attempts to escape into fictional worlds. In the uncertain limbo between media world and reality, where competition alternates with correlations being made between diverging images, human existence is held captive in an eternal becoming.
Foster, Hall. “Postmodernism and Consumer Society,” in The Anti-Aesthetic: Essays on Postmodern Culture, Port Townsend, 1983.

Felix Burger, Train B, 2012
Train B, 2012
Video, 6:02 min